Impulsvortrag

 

Jugendclubs am Theater –

Kartierung eines theaterpädagogischen Formates

 

Impulsvortrag zum Fachtag „10 Jahre Klubszene“, 01. Juli 2015, Podewil
Ute Pinkert, UdK Berlin

 

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Von einer theaterpädagogischen Perspektive aus gesehen, ist der Jugendclub ein traditionelles Format, das unhinterfragt zu den Arbeitsbereichen von Theaterpädagogik am Theater gehört. Doch gleichzeitig sind wir alle mehr oder weniger am Umbau der aktuellen Theaterlandschaft beteiligt und wissen, dass das Format der Jugendclubs davon nicht ausgenommen ist.

Wir erleben, dass das Theaterspielen von Kindern und Jugendlichen kein Nischenprodukt mehr ist, sondern in der Theaterlandschaft (nicht nur Deutschlands) einen immensen Aufschwung und damit einhergehende Anerkennung genießt.

Dazu exemplarisch ein paar prominente Aussagen:

"So viel Theater war noch nie, so viel wurde noch nie Theater gespielt von Jugendlichen, so viel Jugendtheater ist die wohl spektakulärste Entwicklung in den dramatischen Künsten unserer Tage!" (Wolfgang Schneider: 28).

 

"In der partizipativen Theaterarbeit des Theaters für junges Publikum können die Stimmen und Ideen der Jugendlichen wahrnehmbar gemacht werden. Und diese partizipative Kunst umfasst inzwischen viel mehr als den herkömmlichen Theaterspielclub. Sie ist gleichsam zum Leitmotiv einer Theaterpädagogik geworden, die sich neu definiert und mit der konzeptionellen Idee der Vermittlungskunst den künstlerischen Aspekt theaterpädagogischer Arbeit als Priorität herausstellt." (Gerd Taube: 17)

 

"Seit einigen Jahren wird in den Darstellenden Künsten verstärkt mit Kindern und Jugendlichen als Akteuren gearbeitet. Diese Produktionen gehen weit über den Rahmen von Laien- oder Schultheater hinaus, oft handelt es sich um professionelle Experimente mit zeitgenössischen Theaterformen, Performance und Tanz. … Theater bekommt dadurch den Charakter eines sozialen Experiments, in dem jeder Mensch mit seiner eigenen Geschichte, Erfahrung und Persönlichkeit einen wichtigen Beitrag leisten kann. … Lerneffekte gibt es natürlich auch in diesen Projekten – die aber nicht mehr durch vordergründige pädagogische Zielvorgaben gesteuert werden." (Jan Deck und Patrick Primavesi: S. 9f.)

 

Partizipation, performatives Spiel, soziales Experiment, neue Lernformen… und vor allem immer wieder: "mehr als ein Spielclub", "über Herkömmliches hinaus"…  Die Schlagworte der Diskussionsbeiträge bezeugen, wie die hier aufgerufene Praxis mit aktuellen Diskursen in Beziehung steht: Es geht um eine Öffnung der Theater gegenüber anderen Publikumsgruppen und um eine Demokratisierung von Theaterstrukturen sowie um die Entwicklung und Etablierung von Produktionsweisen einer sozialen Ästhetik (vgl. Hajo Kurzenberger: 35). Es geht aber auch um die Wirkmächtigkeit des Kreativitäts- und Performancedispositivs, die sich  innerhalb unseres Bereiches vornehmlich im Begriff der „Professionalisierung“ bündelt.

 

Für unseren Rahmen heute und hier will ich darauf verzichten, diese Diskurse zu dekonstruieren.[1] – Das ist zwar immer wieder wichtig, aber es führt in gewisser Weise auch weg von der konkreten Praxis.

Ich möchte deshalb im Folgenden konkrete Bedingungen und Arbeitsweisen von Jugendclubarbeit in dem Mittelpunkt stellen. Dafür werde ich zunächst kurz an historische Modelle von Jugendclubarbeit erinnern. Danach stehen die strukturellen Beziehungen zwischen Jugendclubarbeit und Theater im Mittelpunkt und zuletzt versuche ich eine qualitätsorientierte Sicht auf Arbeitsweisen (nicht nur) innerhalb von Jugendclubarbeit.

Mein Ziel ist es, eine theaterpädagogische Perspektive auf Jugendclubarbeit zu stärken und Möglichkeitsräume des Denkens zu eröffnen.

 

I) Historische Perspektive und Modell

Um eine Antwort auf die Frage nach dem Wohin zu bekommen, lohnt es sich meist, sich das Woher anzuschauen.

Um mich dabei nicht in historischen Details zu verlieren, nutze ich dafür die Folie von den Vermittlungsgefügen, die ich in meinem Buch zur Theatervermittlung vorgestellt habe (vgl. Pinkert, 2014).

Theatervermittlung, so meine grundlegende These, ist strukturell in einer jeweiligen historisch und systematisch zu bestimmenden Interpretation der Vermittlungsgefüge des Theaters begründet. Das heißt, ob und wie sich Vermittlung als eigenständige Aufgabe definiert, hängt zuerst einmal davon ab, wie die Relationen bzw. Gefüge der Theaterkunst in den Blick genommen und bewertet werden. Innerhalb der institutionalisierten Theaterkunst lassen sich drei Gefüge ausmachen: 1. zwischen Darstellenden und Gegenstand (Material und Verfahren) als das interne Gefüge; 2.  zwischen Aufführung und Zuschauenden als das immanente Gefüge und 3. zwischen Theaterinstitution und potentiellem Publikum als das externe Gefüge (vgl. Pinkert, Vermittlungsgefüge I: 27f.).

 

Wenn man diese Folie nutzt, lassen sich an den Anfängen der Jugendclubarbeit verschiedene Schwerpunkte ausmachen, die ein Überdenken traditioneller Ansätze von Jugendclubarbeit befruchten können.   

 

1.

In der Theaterpädagogik der DDR bis Anfang der 1990er Jahre gab es nur wenige Jugendklubs. Dennoch ist deren Konzeption vor dem Hintergrund des Vermittlungskonzeptes im DDR Theater interessant. Denn hier findet sich eine Interpretation des zweiten Vermittlungsgefüges, die den Zusammenhang von Darstellen und Zuschauen in den Mittelpunkt stellt. Im Zentrum stand die Kunst des Schauspielens, die als (erlernbare) künstlerische Tätigkeit begriffen wurde und der die Kunst des Zuschauens dialektisch zugeordnet war. Demzufolge richtete sich Vermittlung – auch innerhalb der Jugendklubs - auf die Entwicklung und Erforschung der Zuschaukunst. Das Zuschauen, oder auch das "Zuschauspielen" (vgl. Konzeptpapier des Theaters der Jungen Generation in Pinkert, Vermittlungsgefüge II: 226) wurde in Anlehnung an Brechts Begriff der „Zuschaukunst“ als eine künstlerische Tätigkeit betrachtet. Damit war es selbstverständlich, dass nur Schauspieler_innen als Spezialisten der Schauspielkunst die Dialektik von Spielen und Zuschauen vermitteln konnten. Wenn in der DDR Kinder und Jugendliche in Jugendklubs ans Theater gebunden wurden, dann wurden diese nicht zu Schauspielenden, sondern sie bildeten sich als Zuschauer_innen weiter. Dafür begegneten sie Schauspieler_innen, besuchten Proben und lernten über die jeweiligen Berufsvertreter_innen alle künstlerischen Bereiche am Theater kennen.

 

2.

Anders im Jugendclub Kritisches Theater, einer "Urform" der Jugendclubarbeit in Deutschland: 1969 in Köln vom Piscator Schüler Hansgünther Heyme mitgegründet,  wurde der Jugendklub aus der  Perspektive des zweiten Vermittlungsgefüges als Reibungsfläche und  Korrektiv entworfen. Ziel war es, die Inszenierungen des Hauses von Zuschauerseite kritisch zu begleiten. Der Jugendclub sollte dafür interessierte Jugendliche und junge Erwachsene ans Haus binden und die laufenden Produktionen von einem – der Jugend zugeschriebenen -  politisch progressiven (linken) Standpunkt aus kritisieren. Unter der Vorannahme, dass der Stadtheaterbetrieb die Interessen von Jugendlichen (und Studenten) zu wenig berücksichtigte, wurde hier versucht, diese Interessen über die konkrete Kritik an Aufführungen zugänglich zu machen und die Theaterproduktion des Hauses entsprechend zu erweitern.

Nach der Übernahme der Intendanz in Stuttgart wurde der JKT 1981 von Heyne darüber hinaus auch als Ort der praktischen Beschäftigung mit Theaterkunst entworfen, und die Herausbildung von "idealen Rezipienten" über die "praktische Erfahrung" (vgl. Raunig: 38) mit allen Bereichen des Theaters rückte ins Zentrum. Der JKT war pyramidenartig aufgebaut und bot an der breiten Basis vielfältige Möglichkeiten, am Theaterbetrieb beteiligt zu sein und an der Spitze eine jährliche Eigenproduktion, die meist von Heyme selbst unter professionellen Bedingungen produziert wurde.

 

3.

Die kulturpolitisch orientierte Studie des deutschen Bühnenvereins, die 1971 den Theatern dringend empfahl, sich für die Kinder- und Jugendtheaterarbeit zu engagieren, ging vor allem vom dritten Vermittlungsgefüge aus. Im Zentrum stand hier die stärkere Verbindung "der Interessen des Theaters mit denen der Jugend, was vor allem hieß, dem Erwachsenentheater von morgen ein Publikum zu sichern" (Studie Dt. Bühnenverein nach Pinkert, Vermittlungsgefüge II: 207). Dafür wurde strukturell nach Möglichkeiten gesucht, wie das Theater als Institution für Kinder und Jugendliche attraktiver gestaltet werden könne. Heute würde man die damals entworfenen Maßnahmen als audience development bezeichnen. Das aktive Theaterspiel von Jugendlichen wurde dabei von zwei Seiten her empfohlen: einmal in Bezug auf die Zusammenarbeit mit der Schule im Kontext von Qualifizierung und einmal im Hinblick auf die Öffnung der Theater im Kontext einer Erweiterung des Spielplans um jugendgemäße Stoffe und Erzählweisen. Außerdem machte der Bühnenverein bereits 1971 den Vorschlag, "dass das Theater wenigstens einmal in der Spielzeit ein Stück zu produzieren versucht, in dem die Kinder und Jugendlichen selbst als Akteure, Bühnen- und Kostümbildner u dgl. Beschäftigt werden können" (ebd.: 208).

 

Diese kurze Erinnerung an historische Anfänge der Jugendklubarbeit macht deutlich, wie die Konzeption von Jugendclubarbeit mit dem Theaterverständnis, d.h. konkret mit der Konstruktion der Vermittlungsgefüge des Theaters zusammenhängt. Grundlegende Fragen wären demnach:

·      Von welchem Gefüge aus nimmt man die Theaterarbeit mit Jugendlichen in den Blick?

·      Wie werden Jugendliche als gesellschaftliche Gruppe vorrangig konstruiert – z.B. als "Zuschauspieler", als kritische Gegenstimme zum herrschenden Diskurs, als potentielles Publikum oder als im Theater unterrepräsentierter Teil der Gesellschaft?

·      Welcher Aspekt des Theaters wird in Bezug auf Jugendliche besonders betont? Was sollen Jugendliche im und mit dem Theater erfahren, lernen, einbringen oder leisten?

 

Die historische Erinnerung zeigt, dass Jugendclubarbeit in ihren Anfängen vom Theater aus gedacht worden ist: als Bildung von Menschen in der Kunst des Zuschauens; als kritische Gegenstimme zum Repertoirebetrieb des Stadttheaters, als Möglichkeit der Öffnung des Theaters für andere Ausdrucksformen und als Öffentlichkeitsarbeit. Die Jugendclubarbeit als spezifisch theaterpädagogisches Format hat sich in Westdeutschland im Wesentlichen erst in den 1980er Jahren herausgebildet.  

Ausgehend vom Modell der Vermittlungsgefüge lässt sich eine Spezifik von theaterpädagogischer Jugendclubarbeit behaupten:

Jugendclubarbeit unter theaterpädagogischer Perspektive setzt primär am ersten Vermittlungsgefüge an, also an der Relation zwischen Theaterproduzierenden und Material wie Verfahren des Theaters. Abgesehen von wenigen Modellen, in denen diese Relation durch Beteiligungen von Kindern und Jugendlichen am Produktionsprozess erfahrbar gemacht wurde (wie z.B. im DDR Theater), setzt das theaterpädagogische Modell auf die eigene Theaterspielpraxis von Kindern und Jugendlichen: Theaterpädagogische Jugendclubarbeit nutzt das spielerische In-Beziehung-Setzen von Jugendlichen mit Material und Verfahren des Theaters für Bildungsprozesse.[2]  

Wenn die theaterpädagogische Jugendclubarbeit vom ersten Vermittlungsgefüge ausgeht, bedeutet dies selbstverständlich nicht, dass dies unabhängig von den anderen Gefügen geschieht. Sie werden nur entsprechend von diesem aus in den Blick genommen: Die spielpraktische Erprobung von Theater bildet die Voraussetzung für die Fähigkeit der Jugendlichen, Theater wahrzunehmen, zu „lesen“ und zu erleben (zweites Vermittlungsgefüge) und sie bietet die Chance, neue Inhalte und Formen auf die Theaterbühne zu bringen, die das Repertoire sowie das entsprechend interessierte Publikum potentiell zu erweitern (drittes Vermittlungsgefüge). 

 

II. Strukturelle Perspektive

Wie die Erfahrung zeigt, ist dieses Ausgehen vom ersten Vermittlungsgefüge jedoch mit strukturellen Herausforderungen verbunden, die sich letztlich im konkreten Verhältnis der Jugendclubarbeit zu den anderen Gefügen (den Aufführungen und Strukturen des Hauses)  zeigen.

Deshalb will ich mich jetzt den aktuellen Herausforderungen der theaterpädagogisch orientierten Jugendclubarbeit zuwenden. Diese liegen sowohl in der Gestaltung des Verhältnisses zwischen Jugendclub und Haus als auch – damit verbunden – in Fragen der Qualität der Theaterarbeit mit Jugendlichen.

 

These 1: 

Mit der der Durchsetzung performativer Spielweisen und der damit einhergehenden strukturellen Professionalisierung der Theaterarbeit von Jugendlichen findet in der aktuellen Theaterlandschaft eine Neuorganisation statt, die traditionelle Strukturen theaterpädagogischer Jugendclubarbeit verändert.

 

Da die Frage nach der Rolle und Struktur von Jugendclubarbeit immer nur in Bezug auf die konkreten Bedingungen und das Profil eines Hauses beantwortet werden kann, will ich auch an dieser Stelle eine Karte anbieten, mit deren Hilfe sich Strukturen von Jugendclubarbeit an institutionalisierten Häusern beschreiben lassen.

Dabei muss betont werden, dass bei dieser Betrachtung erst einmal nur die Jugendclubs an den Stadt- und Staatstheatern in den Blick kommen. Die alternativen Formen von Jugendarbeit an den freien bzw. Festivaltheatern bleiben dabei erst einmal weitgehend ausgeblendet.

 

So lässt sich das Verhältnis zwischen Jugendclub und Institution als eine Organisationsform beschreiben, die zwischen den Polen Autonomie und Verflechtung angesiedelt ist (vgl. Pinkert, Vermittlungsgefüge I: 31ff.).

 

a) Das Modell der Verflechtung setzt auf die Bindung und Einbindung von möglichst zahlreichen Jugendlichen und in die verschiedenen Bereiche des Theaters. (Vorbild für diese Struktur ist der oben erwähnte „Jugendklub Kritisches Theater“).

Verflechtungen der Jugendclubarbeit mit der Institution finden sich auf verschiedenen Ebenen:

1.        auf einer dramaturgischen Ebene, indem sich der Jugendclub parallel zum Repertoirebetrieb mit Themen oder Stoffen der Spielzeit beschäftigt – und die Ergebnisse in Beziehung zur Repertoireproduktion veröffentlicht werden…

2.        auf der Ebene der Spieler_innen, indem eine Durchlässigkeit zwischen den Ensembles des Hauses und des bzw. der Jugendclubs geschaffen wird, so dass Jugendliche und Schauspieler_innen in verschiedenen Konstellationen gemeinsam in Produktionen arbeiten…

3.        auf der Ebene der Spielleitung, indem Schauspieler_innen oder Regieassistent_innen in die Leitung oder die Arbeit des Jugendclubs einbezogen werden - und eine Reflexion über Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Arbeitsweisen ermöglicht wird…

 

b) Das Modell der Autonomie begreift den Jugendclub hingegen als exklusiven Arbeitsbereich der Theaterpädagogik Diese Jugendclubs sind meist innerhalb des Theaters angesiedelt, arbeiten jedoch mehr oder weniger unabhängig von dessen Ästhetiken und Produktionsabläufen und vor allem im ständigen Ringen um Ressourcen. Bis vor wenigen Jahren agierten die Jugendclubs meist auch im Schatten der Aufmerksamkeit des Hauses.

 

Fragen, die sich aus dieser Schnittlinie ergeben, wären diejenigen nach den Vor- und Nachteilen der jeweiligen Struktur unter theaterpädagogischer Perspektive.  

In einer Diskussion unter den Berliner Theaterpädagog_innen[3] herrschte Einigkeit darüber, dass es für die Anerkennung[4] und die Legitimation der Jugendclubarbeit elementar ist, nach Möglichkeiten der Verflechtung zu suchen.  Dagegen ließe sich einwenden, dass eine autonomere Struktur die Möglichkeit bietet, relativ unabhängig von den Produktionszwängen und vor allem unabhängig vom Zeitmanagement der Institution eigene Arbeitsweisen und Ästhetiken zu entwickeln. Diese Produktionsbedingungen sind meines Erachtens die Voraussetzung dafür gewesen, dass in den vergangenen Jahren die "stärksten Innovationen für die Jugendclubszene" aus der theaterpädagogischen Arbeit erwachsen sind (vgl. Martin Frank: 189).

 

 

Eine andere Schnittline, die am Verständnis der Institution in Bezug auf den pädagogischen Auftrag der Jugendclubarbeit ansetzt, wäre mit den zwei Polen Professionsorientierung und Breitenwirksamkeit zu beschreiben.

 

c) Das Modell der Professionsorientierung geht von der Auffassung aus, dass der Jugendclub ein Raum für besonders theaterinteressierte und engagierte Jugendliche sein sollte, der ihnen ermöglicht, sich unter professionellen Bedingungen mit der Kunstform Theater auseinanderzusetzen. Dieses professionsorientierte Profil findet sich heute an vielen Theatern als selbstverständliche Spielplanposition innerhalb neu gegründeter Junger oder auch als „Spitze“ einer pyramidenartig aufgebauten Jugendclubstruktur. Nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund einer in Deutschland fehlenden Infrastruktur von „Theaterschulen“, bieten die Formen dieser „Hochleistungsjugendclubs“ (Martin Frank) ausgewählten Jugendlichen die Chance, unter professionellen Bedingungen Aufführungen zu erarbeiten, die im künstlerischen Anspruch denen des Hauses gleichgestellt sind.

 

d) Dem Modell der Professionsorientiertheit gegenüber steht dasjenige der Breitenwirksamkeit. Dieses setzt darauf, möglichst vielen Jugendlichen einen Zugang zum Theater zu ermöglichen und damit einen allgemeinen kulturellen Bildungsauftrag zu erfüllen. Dieses Modell, in dem das Theater über die Jugendclubarbeit eine infrastrukturelle Aufgabe kultureller Bildung übernimmt, setzt zuallererst eine entsprechende Ressourcenverteilung voraus.

 

Bekannte Beispiele einer Verbindung von Breitenwirksamkeit und Professionsorientierung sind Jugendclubs, die als eigenständige Institution organisiert sind und Jugendlichen eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit Theater auf verschiedenen, aufeinander aufbauenden  Stufen anbieten. - Ich denke dabei besonders an die Theaterwerkstatt Gera, an das das Junge Theater Bremen Moks und das Junge Theater Basel.  

 

Wenn wir nun auf die erste These zurückkommen und eine Veränderung traditioneller Strukturen der Jugendclubarbeit konstatieren, dann lassen sich diese aktuell in struktureller Hinsicht meist als Erweiterungen, Steigerungen und Professionalisierung beschreiben, die auch auf die eher autonom bzw. breitenwirksam orientierten Strukturen Einfluss haben. So wird die autonome Jugendclubarbeit oftmals auf mehre Clubs erweitert oder/und professionsorientiert zu einer eigenen Jugendsparte ausgebaut. Und zu einer breitenorientierten Jugendclubarbeit gesellen sich zunehmend eher projektorientierte Formate, die sich - oft durch die Zusammenarbeit mit Künstler_innen -  als künstlerische Labore verstehen und einem erweiterten Theaterbegriff verpflichtet sind.

 

Diese Erweiterungen verändern das Tätigkeitsfeld von Theaterpädagoginnen und –pädagogen – nicht nur im Feld der Theaterarbeit mit Jugendlichen - zunehmend in Richtung einer kuratorischen Praxis.

Für eine produktive Beschreibung der damit verbundenen strukturell neuen Anforderungen möchte ich auf ein Begriffsverständnis von Kuratieren anknüpfen, wie es Katja Rothe geprägt hat. Sie bindet Kuratieren an den lat. lat. Wortursprung "curare" (Sorge tragen, sorgen um) und beschreibt kuratorische Praxis so:

"Die/der Leitende tritt im Prozess der Selbst-Bildung eigentlich als ‚Sorgende_r‘ auf, als ein_e Kurator_in, die/der im Raum oftmals dingliche Rezeptionsreize setzt (sie rahmen, designen Settings, erfinden Spielanordnungen usw.), aber nicht leitet. (…) Das Sorgen ist dabei ein selbstbewusst gestalterischer Vorgang, das Kuratorische eine Art des Designs kultureller Selbst-Bildungsprozesse." (Katja Rothe: 75)

 

Diese Sichtweise möchte ich durch Beschreibungen ihrer eigenen kuratorischen Praxis durch Janka Panskus stützen.

In einem Interview[5] beschrieb Janka ihre kuratorische Arbeit im Wesentlichen als ein Ermöglichen von Beziehungen zwischen den Beteiligten. Der wesentliche Begriff, der diese Dimension beschrieb, war für sie der Begriff des "Mitschwingens".

Voraussetzung dafür ist eine hohe Sensibilität für die Beziehungsebene der Arbeit und eine  tiefgründige Kenntnis der Praxen, die miteinander in Beziehung gesetzt werden.

Kuratieren im Sinne von "Sorgen" kann damit mit einer pädagogischen Haltung in Verbindung gebracht und als ein Wechselspiel von Distanz und Nähe, von Rahmensetzung und der Öffnung von Handlungsräumen beschrieben werden.

 

III. Qualität von Jugendclubarbeit

Auch diesen letzten Abschnitt möchte ich mit einer These einleiten:

2. These:

Die strukturelle Neuordnung der Jugendclubarbeit an den Häusern erwächst auch aus einer Veränderung der traditionell getrennten Arbeitsfelder von Kunst und Kultureller Bildung und arbeitet ihr zu. Damit stehen Anerkennungsstrategien und Ressourcenverteilungen zur Disposition und müssen neu ausgehandelt werden. Das führt zwischen den Akteuren zu Auseinandersetzungen, die entsprechend der jeweiligen Machtposition mit Auf -oder Abwertungsprozessen einher gehen. So führt die stärkere Wahrnehmung der Theaterarbeit von Jugendlichen im Kunstfeld zu einer stärkeren Abwertung der theaterpädagogischen Perspektive. Die Begriffe, die dafür genutzt werden, sind: "Professionalität" versus "Nicht- Professionalität" und "künstlerisch" versus "pädagogisch". Dabei wird in der Regel auf einen undifferenzierten Begriff von Professionalität und/oder auf ein verkürztes Pädagogikverständnis zurückgegriffen.

 

Aus theaterpädagogischer Perspektive ergeben sich aus dieser These zwei Konsequenzen.

Zum einen ist es wichtig, ein kritisches Bewusstsein gegenüber differenzbildenden Begriffen zu entwickeln und  Machtverhältnisse zu hinterfragen: Wer nutzt mit welcher Zielsetzung welchen Begriff? So wäre z.B. immer wieder der Begriff der Professionalität zu befragen: Anhand welcher Kriterien wird eine professionelle Arbeit von nicht-professioneller Arbeit unterschieden? Bezieht man sich dabei auf die Arbeitsbedingungen, die Qualifikation der Leitung,  oder die Ausbildung der Spielenden? Tania Meyer hat in diesem Zusammenhang festgestellt: "Gerade in dem Konzept der Professionalität versteckt sich die Legitimierung der Verfügungen darüber, was von wem wie definiert wird und damit auch die Verfügung darüber, welche Kritik wie und von wem zu äußern berechtigt ist." (Tania Meyer, unv. Manuskript: 322).

 

Doch wie gesagt, es geht mir in diesem Vortrag weniger um Dekonstruktion als um die konkrete Praxis.

Und auf dieser Ebene braucht es Kriterien, mit deren Hilfe die Qualitäten einer Theaterarbeit mit Jugendlichen beschrieben werden können. Denn es geht innerhalb und außerhalb der Theaterinstitution um einen Dialog über Arbeitsweisen, Verfahren, Inhalte und Formen, um ein Beschreiben und Verhandeln von verschiedenen Perspektiven auf Jugendclubarbeit.

 

Dabei möchte ich behaupten, dass sich die in den 80er Jahren noch beschreibbaren ästhetischen Differenzen zwischen einem theaterpädagogischen und einem schauspielbezogenen künstlerischen Ansatz in der Jugendclubarbeit mittlerweile angeglichen haben. Der Grund dafür liegt in der Popularität von sozialen und performativen Ästhetiken, die in der Kunst wie in der Theaterpädagogik gleichermaßen zu beobachten ist.

Es wäre deshalb viel zu einfach, die theaterpädagogische Perspektive auf "Belehrung" (Patrick Primavesi: 17), auf "bloße Aneignung von Bildungsgütern" (Kristin Westphal: 127) oder auf Kompetenztraining zu reduzieren. Solange in diesen groben Rastern gedacht und alte Feindbilder beschworen werden, können pädagogische Perspektiven innerhalb künstlerischer Theaterarbeit nicht sichtbar, nicht beschreibbar und nicht anerkannt werden.

Eine Arbeit, die hier weiter hilft, stammt von Norma Köhler und ist 2009 erschienen. Köhler hat sich Arbeitsprozesse von Projekten angeschaut, die als biografisches Theater gelabelt werden und sich dabei für die Unterschiede zwischen Theaterpädagogik und freier Szene interessiert. Ihre Beispiele sind eine Produktion von Uta Plate mit den Zwiefachen; eine Produktion der Jungen Bühne Bonn; eine Produktion eines Volkshochschultheaters auf der einen Seite und jeweils eine biografische Produktionen von Michael Laub, Rimini Protokoll und Dirk Cieslak auf der anderen.

Ihre Forschung bestand darin, den Produktionsprozess einer biografischen Produktion in einzelne Phasen zu gliedern und dann zu untersuchen, welche theatralen Verfahren auf welche Weise in den konkreten Produktionen von Theaterpädagogik und freien Gruppen auftauchen. Ausgehend von ihren Untersuchungen konstruiert Norma Köhler eine modellhafte Unterscheidung zwischen einem Wir-Bezug in theaterpädagogischen Arbeitszusammenhängen und einen Ich-Bezug in den Projekten der freien Szene. Sie zeigt eindrücklich, wie sich diese verschiedenen Bezüge in den verschiedenen Phasen der Materialgenerierung, -bearbeitung und –vermittlung niederschlagen.

Ich kann die Arbeit von Norma Köhler jetzt hier nicht vorstellen, sondern um empfehlen. Sie bietet Stoff für eine differenzierende Verständigung über konkrete Arbeitsweisen. Und vor allem stärkt sie die theaterpädagogische Perspektive, indem sie nicht nach Publikumswirkung bzw. –erfolg fragt, sondern danach, welche Subjektbildungsprozesse sich mit welcher Arbeitsweise eröffnen.

"Genauso wie sich Inszenierungsstrategien in biografischer Theaterarbeit unterscheiden, sind auch die Lernmöglichkeiten für die Akteure differenzierungswürdig. Sie fordern entweder eine synthetisierende Integration eigener Lebensgeschichten in den Gruppenzusammenhang heraus oder ermuntern verstärkt zu individueller Profilbildung gegenüber den anderen Ensemblemitgliedern und ihren Lebensgeschichten." (Norma Köhler: 42).

 

Es scheint mir für die Profilierung einer theaterpädagogisch ausgerichteten Jugendclubarbeit lohnend, weitere Forschungsarbeiten in dieser Richtung anzuschließen. Möglicherweise wäre dafür der Begriff der "sozialen Ästhetik", wie ihn Geesche Wartemann 2002 für das Theater der Erfahrung eingeführt hat, nutzbar zu machen. Mein Vorschlag wäre, dafür zu untersuchen, wie sie die Anbindung "ans reale Leben vor Ort" (Hajo Kurzenberger: 35) konkret im Prozess der Arbeit an einer Produktion realisiert. Meine These ist, dass sich eine soziale Ästhetik jeweils in einer Stimmigkeit, einer gelungenen Wechselwirkung zwischen künstlerischer Idee und den sozialen Bedingungen der jeweiligen Gruppe herausbildet. Das heißt, dass in einer sozialen Ästhetik die konkreten Bedingungen der jeweiligen Gruppe ín den theatralen Gestaltungsprozess einfließen und die Formgebung bestimmen. Damit wären innerhalb einer sozialen Ästhetik keine Formsprachen und Stilmittel prinzipiell auszuschließen. Und wenn verschiedene Gruppenzusammensetzungen immer wieder zu anderen ästhetischen Entscheidungen führen, dann müssten  theaterpädagogische Projekte – heterogene Teilnehmer_innen vorausgesetzt - eigentlich die größten ästhetischen Überraschungen zu bieten haben.

 

 

 

 

 

 

Quellen:

Deck, Jan; Primavesi, Patrick (2014): Vorwort. In: Jan Deck, Patrick Primavesi (Hg.): Stop Teaching. Neue Theaterformen mit Kindern und Jugendlichen. Bielefeld.

Frank, Martin (2014): Jugendclubs an Theatern – die Kunst mit unprofessionellen Künstlern künstlerisch zu spielen. In: Ute Pinkert, unter Mitarbeit von Mira Sack (Hg.): THEATER PÄDAGOGIK am THEATER. Kontexte und Konzepte von Theatervermittlung. Berlin Milow Strasburg.

Köhler, Norma (2009): Biografische Theaterarbeit zwischen kollektiver und individueller Darstellung. Ein theaterpädagogisches Modell. München.

Kurzenberger, Hajo (2014): Die Bürgerbühne. Zur Geschichte und Entwicklung einer partizipatorischen Theaterform. In: Hajo Kurzenberger, Miriam Tscholl (Hg.): Die Bürgerbühne. Das Dresdner Modell. Berlin.

Meyer, Tania (2014): Gegenstimmbildung. Aufklärungskonstruktionen in interkulturellen theaterpädagogischen Projekten gegen Kulturellen Rassismus. (Dissertationsschrift, unveröffentl. Manuskript)

Pinkert, Ute (2014): Vermittlungsgefüge I. Vermittlung im institutionalisierten Theater als immanente Dimension und als pädagogischer Auftrag. In: Ute Pinkert (Mitarbeit Mira Sack)(Hg.): THEATER PÄDAGOGIK am THEATER. Kontexte und Konzepte von Theatervermittlung. Berlin Milow Strasburg.

Pinkert, Ute (2014): Vermittlungsgefüge II. Historische Momente der Herausbildung des Praxisfeldes Theaterpädagogik am Theater. In: Ute Pinkert (Mitarbeit Mira Sack)(Hg.): THEATER PÄDAGOGIK am THEATER. Kontexte und Konzepte von Theatervermittlung. Berlin Milow Strasburg.

Reinig, Gundula: "JKT". In: Günther Erken (Hg.)(1989): Regie im Theater. Hansgünther Heyme. Frankfurt/Main.

Primavesi, Patrick (2014): Stop Teaching! Theater als Laboratorium sozialer Phantasie. In: Jan Deck, Patrick Primavesi (Hg.): Stop Teaching. Neue Theaterformen mit Kindern und Jugendlichen. Bielefeld.

Rothe, Katja (gemeinsam mit Ute Pinkert): Praxis des Vermittelns – künstlerische Labore. In: Gabi dan Droste, Ursula Jenni (Hg)(2013): Agieren mit Kunst. Im Auftrag des Landesverbandes Freier Theater Baden-Württemberg e.V., Baden-Baden.

Schneider, Wolfgang (2010): Jugend im Theater der Jugend. Von A wie Akteure wie Z wie Zuschauer. In: Grimm und Grips 23.Jahrbuch für Kinder- und Jugendtheater 2010. ASSITEJ Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt/Main.

Taube, Gerd (2013): Das Theater für junges Publikum trifft das Theater für Jugendliche. In: Piraten der Performance? Jugendliche entern die Bühne. IXYPSIlONZETT. Jahrbuch für Kinder- und Jugendtheater 2013, Theater der Zeit Berlin.

Westphal, Kristin (2014): Fremdes in Bildung und Theater/Kunst. In: Jan Deck, Patrick Primavesi (Hg.): Stop Teaching. Neue Theaterformen mit Kindern und Jugendlichen. Bielefeld.




[1] Vergleiche dazu aktuell meine Auseinandersetzung mit den Dispositiven von Kreativität und Performance „Kollisionen? Kreativität und Performance Schlüsselbegriffe kultureller Bildung im Kontext kulturbestimmender Diskurse“,

http://publikation.kulturagenten-programm.de/detailansicht.html?document...

[2] Dabei setze ich einen Bildungsbegriff voraus, der Bildung als Selbstbildung begreift, die prinzipiell unverfügbar bleibt.

[3] Diese Diskussion fand im Rahmen einer selbstorganisierten Fortbildung im März 2015 im Theater Strahl statt.

[4] Wie Martin Frank betont, ist für die Jugendlichen, die am Theater Theater spielen, die Rückmeldung seitens des Profibetriebes von enormer Bedeutung. "Ein Jugendclub, der nur bei der Pressekonferenz Erwähnung findet, wird sich auflösen, wenn sich den Jugendlichen Alternativen bieten." (Martin Frank: 190).

[5] Dieses Interview führte ich mit Janka in Vorbereitung eines Vortrags in Radebeul im Januar 2015 im Gorki Theater.